Steuermoral


Ein Blick in die Geschichte

„Steuermoral“ ist im heutigen Verständnis ein Massstab für die Bereitschaft, die Steuerpflicht zu erfüllen. Je höher das Vertrauen in den haushälterischen und effizienten Umgang mit Steuergeldern ist, je mehr Möglichkeit für die Bürger besteht, über Steuergesetze mitzubestimmen und je breiter das Mitspracherecht über Ausgaben und Steuersätze ist, desto höher kann die Bereitschaft ausfallen, die Steuerpflicht richtig zu erfüllen. Man spricht dann von einer hohen Steuermoral. Eine tiefe Steuermoral kann demgegenüber mit einer höheren Bereitschaft zur Steuerhinterziehung verbunden sein. Bei einer hohen Steuermoral wird eher steuerehrliches Verhalten vermutet und bei einer tiefen wird eher davon ausgegangen, dass in grossem Ausmass Steuern hinterzogen werden. Debatten darüber, was Steuermoral eigentlich ist und wie gegen die Steuerhinterziehung vorgegangen werden kann, durchziehen die Geschichte der Bundessteuern.

Diskussionen noch vor der ersten Bundessteuer

Bereits vor hundert Jahren wurde der Begriff der Steuermoral verwendet: Ständerat Oskar Wettstein wies in der parlamentarischen Beratung über die Einführung der Kriegssteuer 1915 darauf hin, dass es in den Kantonen grosse Unterschiede bei der Steuermoral gebe und der Bund diese Unterschiede kaum ohne „eine gewisse Vereinheitlichung der Steuerveranlagungstechnik“ verringern könne: „Ich rede als Angehöriger eines Kantons, dem es leider noch nicht gelungen ist, diese Steuermoral auf den Stand zu heben, den wir alle für wünschenswert erachten“, gab sich der freisinnige Zürcher Standesvertreter kritisch und schloss sein Votum mit den Worten: „Wir tun gut, uns nicht darauf zu beschränken, das Allernotdürftigste vorzukehren, sondern bei der Ausarbeitung des Bundesbeschlusses dafür zu sorgen, dass bei dieser Gelegenheit wirklich durch das ganze Schweizerland hindurch eine ehrliche Veranlagung der Zensiten1 möglich ist.“ Noch bevor die erste Bundessteuer eingeführt worden war, zeigte sich beim Gesetzgeber die Sorge, dass es an der Bereitschaft zur Steuerentrichtung mangeln könnte.
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1 Unter einem Zensit wird der Träger der Steuer verstanden.

Der Bundesrat entwickelte früh ein Bewusstsein dafür, dass der Steuermoral Sorge getragen werden muss. In seiner Botschaft über die Stempelabgabe auf Coupons schrieb er wenige Jahre später: „Das Gebiet der direkten Steuern nimmt der Bund bereits mit der neuen ausserordentlichen Kriegssteuer, deren Erhebung bis ins Jahr 1934 dauern wird, in Anspruch. Die Belastung der Steuerzahler durch die eidg. Kriegssteuer, durch die kantonalen und Gemeindesteuern, erreicht eine Höhe, die nicht wohl mehr überschritten werden darf, soll nicht die Wirtschaft und die Steuermoral Schaden leiden (…).“

Auch das Thema der Hinterziehung von Steuern war früh in der Öffentlichkeit präsent: Lausannerinnen und Lausanner wurden in der „Gazette de Lausanne“ am 20. November 1924 etwa mit folgenden Worten ermahnt, ihre Erklärung der ausserordentlichen Kriegssteuer für die Steuerperiode 1921-4 einzureichen: „Celui qui, malgré la présente sommation, frustre l’Etat d’un montant d’impôt en n’envoyant pas de déclaration, se rend coupable de soustraction d’impôt et devra payer à la fois l’impôt soustrait et un impôt supplémentaire au moins égal à l’impôt soustrait et pouvant s’éléver au quadruple.“ Elf Jahre später schrieb der Finanzwissenschaftler Eugen Grossmann in der Schweizerischen Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, dass zwischen erfassten und tatsächlichen Steuervermögen in der Schweiz ein grosser Unterschied bestehe.

Amnestien im Zweiten Weltkrieg

Im Zweiten Weltkrieg kam es zu den ersten Steueramnestien. Die Einführung neuer Steuern, nämlich des Wehropfers und der Verrechnungssteuer, wurde jeweils von Amnestien begleitet. Beim Wehropfer waren 1940 trotz Amnestie „nach einer sorgfältigen Erhebung der eidgenössischen Steuerverwaltung rund 6,2 Milliarden Franken hinterzogen worden“, wie es in einem parlamentarischen Vorstoss über die Erhebung eines zweiten Wehropfers aus dem Jahre 1944 hiess. Der Bundesrat arbeitete auf parlamentarischen Wunsch 1944 eine zweite Amnestie aus, die zur „Verbesserung der Steuerverhältnisse“ beitragen sollte. Die Mehreinnahmen schätzte er auf 9 Millionen Franken für den Bund und 24 Millionen Franken für die Kantone. Am 26. Januar 1945 druckte die „NZZ“ einen Aufruf der Eidg. Steuerverwaltung ab. „Steueramnestie – eine letzte Gelegenheit“, hiess es da. Wer 1945 seine Wehropfer- und Wehrsteuererklärung korrekt abgebe, werde für bisherige Hinterziehung nicht belangt. „Jetzt zugreifen!“, schloss der Text. „Die Steueramnestie ist mit keinerlei Formalitäten verbunden. Peinliche Gänge zum Steueramt bleiben dem Hinterzieher, der steuerehrlich werden will, erspart.“

So nutzte der Bundesrat Amnestien als Instrument, damit Unversteuertes deklariert werde und sich die Einnahmen verbessern. Er setzte darüber hinaus zur Pflege der Steuermoral und im Kampf gegen die Hinterziehung, auf „Steueraufklärung“, wie er in einem Bericht 1962 darlegte: Jeder Steuerpflichtige müsse ein „Steuergewissen“ entwickeln. Für das Verständnis der vom Staat „zugemuteten“ Steuerleistung sei gleichzeitig ein „vernünftig gehandhabtes Steuersystem“ unerlässlich. Nur so und durch eine sparsame Verwendung lasse sich eine positive gesellschaftliche Einstellung gegenüber Steuern schaffen.

Die Amnestien in der Zeit des Zweiten Weltkrieges blieben die letzten Gelegenheiten für lange Jahre, um reinen Tisch zu machen. Erst 1969 kam es zu einer erneuten Amnestie bei Bundessteuern, der die Stimmbürger im Vorjahr an der Urne zugestimmt hatten. Ein weiteres Kapitel wurde am 1. Januar 2010 aufgeschlagen, als die „straflose Selbstanzeige“ eingeführt wurde. Seither können sich Steuerhinterzieher einmal im Leben selbst anzeigen, ohne bestraft zu werden. Sie werden ausschliesslich nachbesteuert. Im Unterschied zu Amnestien ist diese Massnahme zeitlich unbefristet.