100 Jahre Steuerverwaltung: Offizieller Festakt im Bernerhof


Mit Gästen des Bundes, der Kantone und der Politik feierte die Eidgenössische Steuerverwaltung am 5. Juni ihr 100-jähriges Bestehen. Direktor Adrian Hug blickte vor den Steuerfachleuten auf die bewegte Geschichte zurück und skizzierte die Eckwerte der Zukunft.

«Meine Damen und Herren

Es freut mich, dass Sie mit uns Hundert Jahre Eidgenössische Steuerverwaltung feiern. Dies obwohl die NZZ im Steuern eintreiben keinen Grund zum Feiern sieht und Sie, so nehme ich an, auch nicht in Euphorie verfallen, wenn Sie Post oder Besuch von uns erhalten. Ausser wir schulden Ihnen etwas. Das ist heute einträglicher als Bankzinsen.

Dennoch gilt: Ohne Steuern kein Staat. Wenn Sie gerne Steuern zahlen, dann sind Sie eine Ausnahme. Aber, und das ist das eigentlich Erstaunliche und Erfreuliche: Niemand stellt heute in Frage, dass Steuern entrichtet werden müssen. «Taxes are the price we pay for civilization» – diese Aussage eines Staatsmannes können wir alle unterschreiben.

Wir feiern heute Hundert Jahre Steuerverwaltung: Auf den Tag genau haben die Schweizer Männer vor einem Jahrhundert die ersten direkten Steuern auf Bundesebene mit einer Zustimmungsrate von sage und schreibe 94 Prozent angenommen. Es ist die Ironie der Geschichte, dass die Steuer dann erhoben wurde, als in Europa alle Werte der Zivilisation zerbrachen. Die erste direkte Bundessteuer war deshalb eine Kriegssteuer. Und einmalig sollte sie sein: Die Finanzverwaltung ging damals davon aus, der Erste Weltkrieg sei bis zum Jahreswechsel zu Ende.

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Der Krieg dauerte länger. Als schon bald die zweite einmalige Kriegssteuer ins Auge gefasst werden musste, waren die Kantone alarmiert. Und rückten zusammen. 1916 beschlossen sie, das Finanzwesen besser zu organisieren und ein ständiges Sekretariat einzurichten, um ihre Interessen gegenüber dem Bund besser wahrzunehmen. Sie harmonisierten ihre Veranlagungen, denn sie mussten die Kriegssteuer erheben und beziehen. Im Gegenzug durften sie zwanzig Prozent der Erträge behalten. Nach der zweiten «einmaligen» Kriegssteuer folgte die dritte.

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Die Erhebung von Steuern auf Bundesebene hatte sich zwischenzeitlich durchgesetzt. Am 1. April 1918 trat dann das Gesetz über die Stempelabgaben in Kraft. Gleichwohl waren die Kosten für die Mobilisation im ersten Weltkrieg erst 1932 abgetragen. Es kam die Wirtschaftskrise und damit die Zeit des Fiskalnotrechtes.

Bis 1948 wurden mit Dringlichkeits- und Notrecht praktisch ununterbrochen direkte Bundessteuern erhoben – in Form einer ausserordentlichen Kriegssteuer, einer Krisenabgabe oder eines Wehropfers. Die Überführung ins ordentliche Recht gelang nie – man verpasste den richtigen Zeitpunkt oder das Volk lehnte ab.

Die Lage des Bundes wurde immer prekärer. Drei Jahre nach dem zweiten Weltkrieg betrug die Verschuldung gigantische 8,5 Milliarden Franken – rund 60 Prozent des Sozialproduktes. Der Bund entwickelte sehr kreative Ideen für neue Steuertypen. Ab 1958 regelte er mit der Verrechnungssteuer wenigstens einen Teil der Finanzordnung dauerhaft. Die direkte Bundessteuer wurde erst 1976 angenommen – wer weiss, vielleicht dank der Stimmen der Frauen, die bekanntlich besser haushalten können als Männer...

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Die Schweizer Geschichte hat es zustande gebracht, dass das föderale System nach wie vor stark ist und dass wir alle gleichzeitig einen Bund akzeptieren, der auch immer mehr zentrale übergeordnete Aufgaben wahrnehmen muss. Die geteilte Souveränität hat massgeblich unseren heutigen Wohlstand ermöglicht. Ebenso hat das politische System zu einer Demokratisierung des Steuerzahlens beigetragen. Auch darin wurzelt die vergleichsweise hohe Steuermoral, die wir in der Schweiz haben.

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Meine Damen und Herren, auch die Schweiz ist heute in gewisser Weise mit einem Reputationsproblem konfrontiert. Steuern sind heute wichtige Themen sowohl bei Privaten wie auch in den Chefetagen der Firmen. Die Unternehmenssteuerreform III, eines der bedeutendsten und komplexesten Reformvorhaben in der Geschichte unseres Steuerrechts, widerspiegelt diese Wichtigkeit. Das Ziel ist ambitiös: Einerseits soll das Schweizer Steuersystem für Unternehmen international akzeptiert sein, gleichzeitig soll der Wirtschaftsstandort Schweiz attraktiv bleiben und schliesslich müssen die Folgen für den Steuerertrag im Bund wie in den Kantonen und Gemeinden verkraftbar sein. Einige sagen, das komme der Quadratur des Kreises gleich.

Das Steuersystem sprengt heute nationale Grenzen. Das heisst nicht, dass der Steuerwettbewerb grundsätzlich infrage gestellt ist. Das System muss aber wohlstandsfördernd und nicht wohlstandsvermindernd sein. Die Vernehmlassungen der Branchen auf die Vorlagen der Unternehmenssteuerreform zeigen, dass die Wirtschaft sich den notwendigen Anpassungen nicht verschliesst. Alle Akteure zeigen sich kompromissbereit.

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Dass unsere Staatskasse genügend alimentiert wird, zeigt, dass unser System nicht zur Steuerhinterziehung in grossem Stil animiert. Auch das gilt es heute zu feiern. Die Sondermarke, die aus Anlass zum Hundert-Jahr-Jubiläum herausgegeben worden ist, drückt die Anerkennung aus, die wir der Schweizer Bevölkerung schulden. Steuereintreiber sind zwar nicht beliebt, aber für die Schweiz gilt dank dem guten Einvernehmen zwischen Behörden und Steuerpflichtigen nicht, was eine Keilschrift aus dem dritten Jahrtausend vor Christus noch beklagte: «Du kannst einen Fürsten lieben, du kannst einen König lieben, aber der Mann, den du fürchten musst, ist der Steuereinnehmer.»

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Wichtig ist und bleibt für uns, Vertrauen zu schaffen in unsere Arbeit. Unser Steuerstaat ist klein und die Steuermoral in der Regel gut. Und vielleicht können wir uns alle sogar dazu durchringen, die direkte Bundessteuer in der Verfassung dauerhaft zu verankern.

Meine Damen und Herren, wir feiern heute nicht die Steuer an sich, sondern die Bundessteuer in seiner heutigen, demokratisch legitimierten Form. Es ist der Beitrag, von dem die Bürgerinnen und Bürger selber beschlossen haben, dass sie ihn an die Errungenschaften unseres Staates leisten sollen. Wir feiern diesen «Contrat social» und wir feiern ein Finanzsystem, das uns insgesamt als vernünftig erscheint. Nicht zuletzt feiern wir auch die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Steuerverwaltung und Steuerzahlenden.

Wir sind für Sie da.

Denn Sie sind uns wichtig. Ganz besonders, wenn Sie dem Steueramt noch Geld schulden!

Ich wünsche Ihnen eine schöne Feier und freue mich, mit Ihnen anzustossen.»

Rede Direktor Adrian Hug